Ich war schon einmal hier. So beginnt das Buch
nach dem Prolog in Evelyn Waughts berühmtem Roman „Brideshead Revisited“.
An diesen Satz musste ich denken, als ich mich nach längerer Pause in
Paris wiederfand. In dieser großartigen Metropole, dem Vorreiter aller
Städte mit dem Traum von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.
Die Parole Liberté, Égalité, Fraternité gehört zum nationalen Erbe Frankreichs,
wurde zum Leitspruch und Vorbild aller demokratischen Geister dieser Welt.
L'homme est né libre, et partout il est dans les fers (Der Mensch ist
frei geboren und liegt doch überall in Ketten), ein Ausspruch des Jean-Jacques Rousseau und das Gemälde La Liberté guidant
le peuple (Die Freiheit führt das Volk) des Eugène Delacroix halten uns
ein Spiegelbild der französischen und damit zu einem großen Teil der Pariser
Geschichte vor Augen.
Es ist die Stadt der Literatur, die eines Molière der Klassik, die eines
Voltaire als geistiger Kopf der französischen und europäischen Aufklärung,
die eines Victor Hugo der Romantik, jene eines Honoré de Balzac des Realismus,
jene der wichtigen Strömungen der Literatur der beiden Kriege des Antoine de Saint-Exupéry, sowie des Existenzialismus
des Jean-Paul Sartre und des Albert Camus.
Es ist die Stadt der Künste, der großen Maler des Impressionismus, die
eines Claude Monet, Édouard Manet, Edgar Degas und Pierre-Auguste Renoir, aber
auch des Kubismus eines Pablo Picasso, der wie viele der Künstler Paris
zu seiner Wahlheimat erkoren hatte.
Aber Paris ist allem voran die Weltstadt der Photographie, die eines Louis
Jacques Mandé Daguerre, den Brüdern Louis und Auguste Lumière oder eines
Henri Cartier-Bresson. Es ist die Metropole der Architektur. Viele europäische
Großstädte haben wundervolle Juwelen der Baukunst, wie Wien, Prag, Budapest,
London oder Rom, um nur einige zu nennen. Doch nirgendwo anders als in
Paris wurde so drakonisch verändert oder erneuert. Baron Georges-Eugène
Haussmanns Erweiterung der Stadt oder die präsidialen Grands Projets der
V. Republik haben Zeichen der Zeit gesetzt.
Paris gilt vollkommen zu Recht als eine der kulinarischen Hauptstädte
der Welt. Dem Essen wird nicht nur entsprechender Lebensraum gegeben,
darüber hinaus ist, neben der kultivierten und weltbekannten Küche und
ihren Exzessen, jede Kreation, so unscheinbar sie sein möge, jeweils mit
einem sehr klingenden Namen bedacht. Das ist typisch für die cuisine française.
Es ist die Stadt der Mode. Wer schon einmal den Prêt-à-Porter Modenschauen
beigewohnt hat, weiß, in welcher Atmosphäre die Defilées auf das Publikum
wirken. Die hohe Kunst der Schneiderei, die Haute Couture, ist die absolute
Krönung der Pariser Modewelt. Es ist die Stadt der Düfte, der Faszination
der besten Gerüche in berauschenden Parfumflakons. Paris ist auch die
Stadt der Fundgrube. Die Flohmarktstraßen sind extraordinaire.
Und da ist noch die Liebe. Welch ein Mythos oder doch nicht? Auf jeden
Fall waren die Franzosen immer erfinderisch und sind in manchen Belangen
erfrischend unkompliziert. Um Paris richtig zu begreifen bedarf es einer
intensiven Wahrnehmungsfähigkeit, sowie der uneingeschränkten Bereitschaft
diese großartige Stadt mit zwei gegenläufigen Gesichtern auf sich einwirken
zu lassen, dem hektischen Paris mit dem Stress der Moderne und dem Paris
der zeitlosen Räume mit Beschaulichkeit und Muße. Paris ist einzigartig,
unvergleichlich und zeigt jedem Besucher augenblicklich seine Bestimmung,
das Leben einfach zu leben. c'est la vie!
Ich war schon einmal hier in der Capitale. Zwanzig Jahre ist es her, daß
mich der berufliche Lebensweg in diese Stadt verschlug, in mehreren Schritten
zu einer immens großen und sehr anspruchsvollen Aufgabe. Aus einem multikulturellen
Umfeld und einer Mediendynastie kommend, durfte ich an dem Jahrhundertprojekt
des Musée du Grand Louvre ganz entscheidend mitarbeiten, ja regelrecht
mitgestalten. Als Photograph, althergebracht ausgedrückt
als Lichtbildner, lebte ich meine Kreativität aus. Paris war meine Freiheit,
zu mir selbst zu finden. Es war meine Inspiration. Irgendwie lag das in
der Luft. Im Vorfeld frei nach Gustav Mahler: „Tradition ist die Weitergabe
des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.“ Daran habe ich mich im Wesentlichen
gehalten. |